Jahreskreis
19. Woche - Donnerstag
7
von
grossen und kleinen Schulden
Vergebene
und bleibende Schuld.
Christus und die Dankbarkeit.
Vom kleinen Dank im Alltag zum großen Dank der Messe.
I. Im
heutigen Evangelium1
erzählt der Herr von einem König,
der beschloß, von seinen Dienern
Rechenschaft zu verlangen. Anlaß dieser Erzählung ist eine Frage
des Petrus: Wie
oft muß ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt?
Siebenmal? Der Apostel »will es mit seiner Frage ganz besonders
gut machen, wenn er in sie schon die begrenzende Antwort auf sie einschließt:
>Bis siebenmal< will er dem sich vergehenden Bruder verzeihen. Das sagt er in
fragendem Ton, und es dünkt ihn ein absolutes, ein geradezu übermenschliches
Maximum an Versöhnungsbereitschaft. Wie gut doch, daß dieser Mann sein Herz,
seinen einfachen Geist auf der Zunge trägt und so Jesus immer wieder die
Gelegenheit gibt, nicht nur ihn selbst belehrend zu formen, sondern auch uns.«2
Wir lernen heute, wie groß das Erbarmen Gottes uns gegenüber ist und wie wir es
mit dem Erbarmen gegenüber dem Nächsten halten müssen.
Nicht
siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal
sollst du vergeben. Wahrscheinlich hat Petrus nachgefragt: Und warum, Herr? Da
beginnt Jesus seine Erzählung vom König,
der beschloß, von seinen Dienern
Rechenschaft zu verlangen. Wir alle werden immer wieder schuldig
vor Gott, und er vergibt uns; deshalb sollen auch wir immer wieder -
siebenundsiebzigmal - vergeben. Der Herr meint die Schuld, die
Gottes Erbarmen uns erläßt; aber außerdem geht es ihm auch um eine Schuldigkeit,
die bleibt: dankbar zu sein für Gottes Erbarmen. Dies wollen wir heute näher
betrachten.
Als der
König mit der
Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente
schuldig war. In einem Kommentar zu dieser Stelle heißt es: »Ein
Talent entsprach sechstausend Drachmen. Ein Denar war damals einer Drachme
gleichwertig und war der Tageslohn eines Arbeiters. Die Schuld umfaßte also eine
ungeheure Summe, die kaum aufzubringen war. Die Jahreseinkünfte Herodes' des
Großen betrugen 900 Talente, das Steueraufkommen von ganz Galiläa und Peräa im
Jahr 4 n.Chr. 200 Talente.«3 Die ungeheure Summe veranschaulicht zuerst unsere
Schuld vor Gott - jeder von uns ist dieser Schuldner, Schuldner in auswegloser
Situation. Aber dann - im zweiten Teil des Gleichnisses - stehen unserer Schuld
von zehntausend Talenten lächerliche hundert
= 3 Die
ungeheure Summe veranschaulicht zuerst unsere Schuld vor Gott - jeder von uns
ist dieser Schuldner, Schuldner in auswegloser Situation. Aber dann - im zweiten
Teil des Gleichnisses - stehen unserer Schuld von zehntausend Talenten
lächerliche hundertDenare
gegenüber, die uns ein anderer schuldet.
Ist uns
klar, was Gott uns zugedacht hat? Der Kirchenvater Irenäus schreibt: »Gott schuf
am Anfang Adam nicht etwa deshalb, weil er den Menschen gebraucht hätte. Er tat
es, um jemand zu haben, den er mit seinen Wohltaten überhäufen konnte. Allen,
die ihm dienen, erweist er Wohltaten dafür, daß sie ihm dienen, und denen, die
ihm folgen, tut er wohl dafür, daß sie ihm nachfolgen. Er selbst empfängt jedoch
keine Wohltaten von ihnen. Er ist reich und vollkommen, er kennnt keinen
Mangel.«4 Worin besteht unsere unermeßliche Schuld? Als erstes verdanken wir
Gott die ursprünglichste aller Gaben: das Leben. Es ist ja gar nicht
selbstverständlich, daß es mich gibt. Trüge er uns nicht durch seine Vorsehung,
würden wir ins Nichts zurücksinken: Wie
könnte
etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre? Du schonst
alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens,
heißt es im Buch der Weisheit.5
Alle natürlichen Gaben und Fähigkeiten sind sein Geschenk. Vor allem aber hat es
Gott »in seiner Güte und Weisheit gefallen, sich selbst zu offenbaren und das
Geheimnis seines Willens bekannt zu machen, daß die Menschen durch Christus, das
Fleisch gewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und der
göttlichen Natur teilhaftig werden.«6 Für all dies gilt es zu danken: für die
Menschwerdung, die Erlösung, das Geschenk der Gotteskindschaft, die Berufung.
Wir
danken ihm auch dafür, daß wir Töchter und Söhne der Kirche sind. In der Kirche
empfangen wir die Sakramente des Heils, ja, in der heiligen Eucharistie Christus
selbst. In der Kirche sind wir der Gemeinschaft der Heiligen einverleibt. Sie
läßt uns das schlichte Gebet eines Kindes, das Leiden eines Kranken, den
Opfertod eines Märtyrers, das alltägliche Zeugnis einer Hausfrau und - die
Zeiten überschreitend - die Fürsprache der Heiligen im Himmel und den Schutz der
Engel zugute kommen. »Wenn du für alle betest, dann wird dir auch das Gebet
aller nutzen, denn du bist Teil des Ganzen. Auf diese Weise wirst du eine große
Wohltat erfahren, denn das Gebet jedes Gliedes des Volkes bereichert sich mit
dem Gebet der anderen.«7
II.
Wie kann ich dem
Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?8
Betrübt merken wir, daß es in der Realität des Lebens nicht immer so ist, wie
wir es gern hätten: nicht alles, was unsere Augen wahrnehmen, bringt uns Gott
näher; nicht alles, was wir hören, nicht alles, was wir sagen, nicht alles, was
wir entscheiden, wird vom Glauben erhellt. Und dann: wieviel Gemeines,
Boshaftes, Trübes zieht uns an, das unserer Würde als Kinder Gottes
widerspricht.
Denn
Auge, Ohr und Mund, Verstand, Wille und Empfinden sind von der Sünde getrübt.
»Der Mensch erfährt sich, wenn er in sein Herz schaut, auch zum Bösen geneigt
und in vielfältige Übel verstrickt, die nicht von seinem guten Schöpfer
herkommen können. Oft weigert er sich, Gott als seinen Ursprung anzuerkennen; er
durchbricht dadurch auch die gebührende Ausrichtung auf sein letztes Ziel,
zugleich aber auch seine ganze Ordnung gegenüber sich selbst wie gegenüber den
anderen Menschen und allen geschaffenen Dingen.«9 Es ist die Neigung des homo
faber, sich selbst zu genügen und alles selbst machen zu wollen. Dienst
setzt dann Gegendienst voraus, Hilfsbereitschaft und Liebenswürdigkeit
spekulieren auf Vorteil und Erwiderung. Der Sinn für Schenken, Empfangen und
Danken schwindet.
Was hast
du, das du nicht empfangen hättest?
»Der Dankbare ist sich der Tatsache bewußt, daß er ein Bettler vor Gott ist und
kein Recht besitzt, auf dem er Gott gegenüber bestehen kann, daß alles Geschenk
der Güte Gottes ist und er Gott gegenüber keine Forderung stellen kann. (...) Er
ist das Gegenteil des Stumpfen, der in jener Halbwachheit verbleibt, die für das
praktische Leben und die Erfüllung der Lebensnotwendigkeiten gerade genügt. Er
ist das Gegenteil dessen, der in der Peripherie verbleibt und alles als
selbstverständlich hinnimmt.«11 Ein dankbarer Christ sucht Gottes Nähe: »Ruhe
aus in der Gotteskindschaft! Gott ist Vater - dein Vater! Zart und
unerschöpflich ist seine Liebe.
Nenne ihn
oft Vater und sage ihm unter vier Augen, daß du ihn liebst, sehr, sehr liebst!
Sage ihm, daß du zutiefst die Ehre empfindest, sein Sohn, seine Tochter zu sein,
und daß du daraus deine ganze Kraft schöpfst.«12
Ich werde
dir alles zurückzahlen...
Das Angebot ist irreal, aussichtslos, nicht einmal der erbetene Zahlungsaufschub
würde dem Schuldner helfen. Aber er sagt auch:
Hab Geduld mit mir!
Hier ist eine Hoffnung, die sich vollständiger erfüllt, als der Bittende
erwarten durfte, denn der Herr erläßt ihm alles. Drängt es uns nicht, uns diesen
Ruf zu eigen zu machen? Ins Geistliche gewendet ist er ein Eingeständnis der
Schuld und ein Seufzer der Ohnmacht und der Reue.
Im
Gleichnis spiegelt sich das tiefe Empfinden Jesu für Dankbarkeit wider, das wir
aus den Evangelien kennen. Manchmal wird es nur angedeutet:
Wenn du wüßtest, worin die Gabe
Gottes besteht und wer es ist, der dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest
du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben13,
sagte er zu der Samariterin. Oder:
Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu
ehren, außer diesem Fremden?14
fragt der Herr nach der Heilung der zehn Aussätzigen. Die Evangelisten haben
zwei Gebete Christi ausdrücklich festgehalten: beide beginnen mit einer
Danksagung15.
»Im ersten Gebet bekennt und preist Jesus den Vater, weil er die Geheimnisse des
Gottesreiches denen, die sich für weise halten, verborgen, den Kleinen aber -
den Armen der Seligpreisungen - geoffenbart hat. In seinem Jubelruf >Ja, Vater<
äußert sich die Tiefe seines Herzens (...). Das zweite Gebet wird vom heiligen
Johannes wiedergegeben. Es wird im Zusammenhang mit der Auferweckung des Lazarus
überliefert. Dem Geschehen geht die Danksagung voraus: >Vater, ich danke dir,
daß du mich erhört hast.< Dies bedeutet, daß der Vater stets Jesu Bitten erhört.
Und Jesus fügt gleich hinzu: >Ich wußte, daß du mich immer erhörst.< Dies drückt
aus, daß Jesus seinerseits immerfort bittet. Das Gebet Jesu, das von Danksagung
getragen ist, offenbart uns, wie wir bitten sollen: Schon bevor die Gabe
geschenkt wird, stimmt Jesus Gott zu, der gibt und der sich selbst in seinen
Gaben schenkt. Der Geber ist wertvoller als die gewährte Gabe.«16
III.
Danke sagen ist in unserer Zeit nicht mehr selbstverständlich. »Was das
allgemeine Gefühl bestimmt, ist nicht Bitten und Geben, sondern das Anmelden von
Rechten und deren organisierte, von Behörden überwachte Einlösung. Und was
darauf antwortet, ist nicht Dank, sondern die Quittung, die Sache sei in
Ordnung.
Daran ist
freilich auch etwas sehr Gutes: daß nämlich die Dinge sachlich, nach zweckmäßig
durchdachter Ordnung vor sich gehen und das Persönliche nicht dort hineingezogen
wird, wo es nicht wirklich hingehört (...). Dadurch droht aber die Gefahr, daß
das Lebendige verschwindet, was die Worte
Bitten und
Danken, Geben
und Empfangen
meinen.«17
Wie
können wir dieser Gefahr entgehen und unser Gespür für Dankbarkeit schärfen? »Die
Dankbarkeit kommt dem Geschenk entgegen, insbesondere dem Geschenk der Liebe.
Liebe unter uns Menschen ist erst reif und echt als unbefristete, unentgeltliche
Selbsthingabe, nicht als Eigensucht oder bloßer Austausch von Diensten, Lüsten
oder Dingen: sie ist reinstes Geschenk. Prüfstein der Liebe ist deshalb die
gegenseitige Dankbarkeit. Wenn zwischen angeblich liebenden Menschen viel von
Pflichten und Rechten die Rede ist, dann hat man das wichtigste versäumt: das
Geschenk und die aus ihm quellende Dankbarkeit.«18 Der Alltag bietet viele
Gelegenheiten der Begegnung jenseits von Rechten und Pflichten. Es gilt, ein
Auge zu haben für das vermeintlich Selbstverständliche: die freundliche Auskunft,
die aufmerksame Geste bei Tisch, die Gastfreundschaft, den spontanen Glückwunsch
zum Namenstag oder zum Geburtstag, für die freundliche Nachbarschaftshilfe. »Was
können wir Besseres im Herzen tragen, mit dem Mund sprechen, mit der Feder
schreiben, als diese Worte: >Gott sei Dank<? Nichts kann knapper gesagt,
freudiger gehört, inniger empfunden, nützlicher getan werden als dies.«19 »Gott
sei Dank« verliert das Floskelhafte, sobald es Thema unseres persönlichen
Gebetes wird, und wie von selbst werden wir uns fragen: Wie kann ich dem Herrn
all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?20
Wir
können den persönlichen Dank etwa in ein liturgisches Dankgebet kleiden, denn
»die Danksagung kennzeichnet das Gebet der Kirche«21: »Es ist Gott sehr
wohlgefällig, wenn wir bei außergewöhnlichen Ereignissen ihm mit einem Te Deum
danken und seine Güte preisen. Ob es in den Augen der Welt ein gutes oder
schlechtes Ereignis ist, soll für uns nicht ausschlaggebend sein. Alles kommt
aus seiner väterlichen Hand; auch wenn ein Schlag sehr schmerzt, er ist ein
Zeichen seiner Liebe. Denn er will unsere Kanten abschleifen, vervollkommnen!=
22 Das Einstimmen in den Dank der Kirche gipfelt in der Teilnahme an der
heiligen Messe, die ja gerade Eucharistie - Danksagung - heißt; das Wort
erinnert an die jüdischen Preisungen, die - vor allem beim Mahl - die Werke
Gottes rühmen: die Schöpfung, die Erlösung und die Heiligung. (...) Christus
befreit durch sein Heilswerk die Schöpfung von Sünde und Tod, um sie erneut zu
weihen und zum Vater zurückzuführen, ihm zur Ehre. Die Danksagung der Glieder
des Leibes nimmt an der Danksagung ihres Hauptes teil«22
Beim
eucharistischen Mahl danken wir Gott für das Irdische -
Du schenkst uns das Brot, die Frucht
der Erde und der menschlichen Arbeit24
-, und wir danken durch Christus. Die Präfation beginnt mit den Worten:
In Wahrheit ist
es würdig und recht, dir, Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, immer
und überall zu danken durch unseren Herrn Jesus Christus... Dabei
heißt Präfation
»nicht etwa
Vorwort, sondern
fari prae Deo - vor
Gott sprechen. Schluß dieses Wortes an Gott ist das Trishagion, das
Dreimalheilig«23
Wir alle
sind im Priester gegenwärtig, wenn er
dem ewigen, lebendigen und wahren
Gott unsere
Gebete und Gaben
darbringt. Wir bitten Gott, er möge
diesen Gaben Segen in Fülle
schenken und sie
uns zum wahren Opfer im Geiste
machen, sie heiligen,
damit sie uns werden Leib und Blut
deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus. Später im Hochgebet
heißt es dann:
Jesus erhob die Augen zum Himmel, zu dir, seinem Vater, dem allmächtigen Gott,
sagte dir Lob und Dank, brach das Brot (...), sagte dir Lob und Dank, reichte
den Kelch seinen Jüngern... In der Feier der Eucharistie
überschreitet unser Dank alle individuellen Grenzen und wird zur vollkommensten
Danksagung durch
Christus und mit ihm und in ihm.
Am Anfang
unserer Betrachtung stand die Frage des Petrus: Muß ich wirklich meinem Bruder
siebenmal
vergeben? Und als Antwort das Gleichnis des Herrn: Vergleiche deine große Schuld
- zehntausend
Talente - mit deinem lächerlichen Anspruch -
hundert Denare. Gott
erläßt dir die Schuld. Sei dafür dankbar, dann wirst du barmherzig sein können.
Und dein Erbarmen gegenüber dem Nächsten wird deinen Dank Gott gegenüber
besiegeln.
Mt
18,21- 19,1. -
2 P. Berglar,
Petrus
- Vom Fischer zum Stellvertreter, München 1991, S.95. -
3
Einheitsübersetzung des NT, Anmerkung zu Mt 18,23-25. -
4
Irenäus von Lyon,
Gegen die Häresien,
4,14,1. -
5
Weish
11,26. -
6 II. Vat. Konz.,
Konst.
Dei Verbum, 2. -
7
Ambrosius,
Über Kain und Abel, 1.
- 8
Ps 116,12. -
9 II. Vat. Konz.,
Konst.
Gaudium et spes, 13,1.
- 10
1 Kor
4,7. -
11 D. von Hildebrand,
Über
die Dankbarkeit, Ottilien 1980, S.12. -
12
J. Escrivá,
Im Feuer der Schmiede,
Nr.331. -
13
Joh
4,10. -
14
Lk
17,18. -
15 vgl.
Mt
11,25-27;
Lk 10,21-23;
Joh
11,41-42. -
16
Katechismus der Katholischen Kirche, 2603, 2604. -
17
R. Guardini,
Tugenden, Mainz 1987,
S.130. -
18 J.B. Torelló,
Psychologie des Alltags, Linz o.J., S.110. -
19
Augustinus,
Brief 72. -
20
Ps
116,12. -
21
Katechismus der Katholischen Kirche, 2637. -
22
J. Escrivá,
Im Feuer der Schmiede,
Nr.609. -
23
Katechismus der Katholischen Kirche, 1328, 2637. -
24
Missale Romanum. -
25 Th. Schnitzler,
Was
die Messe bedeutet, Freiburg 1976, S.134.