JAHRESKREIS
2. WOCHE - FREITAG
14
zur
heiligkeit berufen
Die Auswahl der Zwölf.
Auch wir sind berufen und
auserwählt.
Alle sind zur Heiligkeit
berufen.
In jener Zeit stieg Jesus auf einen
Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm.
Das heutige Evangelium1
berichtet über das entscheidende Ereignis der Apostelwahl. Der Bericht klingt
feierlich, bestimmt, von Wort zu Wort eindringlicher: Jesus ruft Menschen
zu sich,
Menschen, die er vorher
erwählt hatte; und
diese Menschen
kamen zu ihm. Und Jesus setzte sie ein, weil er sie
bei sich haben
und aussenden
wollte. Wie einen Schlußakkord hören wir dann die Namen der Zwölf.
Sie waren schon einige Zeit im großen Kreis der Jünger bei ihm gewesen. Von
einigen - Andreas, Johannes, Simon, Philippus, Natanael... - kennen wir sogar
die genauen Umstände ihrer ersten Begegnung.
Jetzt will der Herr, daß sie ihm noch
näher sind. Ihre Erwählung hat - wie jede Berufung - persönlichen Charakter,
aber auch eine institutionelle Dimension. Der griechische Ausdruck
er setzte ein
ist »ein Verb, das im griechischen Text der Septuaginta auch für das Werk der
Schöpfung verwendet wird; für dieses benützt der jüdische Originaltext das Wort
>bara<, für das es im Griechischen kein genau entsprechendes gibt; >bara<
bedeutet das, was nur Gott selbst >tut<, indem er aus dem Nichts erschafft.«2
Der griechische Ausdruck spricht also »von einer entscheidenden Handlung
Christi, die eine neue Wirklichkeit geschaffen hat. Die Funktionen, die
Aufgaben, die die Zwölf erhalten, sind eine Folge dessen, was sie kraft der
Einsetzung durch Christus (er setzte ein = er tat) geworden sind.«3
Mit dieser Tat errichtet der Herr die Grundstruktur seiner
Kirche. Die Zwölfzahl der Erwählten ist nicht zufällig oder willkürlich, sie
entspricht der Zwölfzahl der Stämme Israels. »Ebenso wie die Patriarchen, Jakobs
Söhne, für das ganze Volk die ehrwürdigen Ahnherren waren, auf die jeder Stamm
stolz war - der gemeinsame Ursprung war die Grundlage des Zusammenhalts der
Stämme -, so sollten die Zwölf die Väter des neuen Israels sein, das Jesus
schaffen wollte.«4 Aber die Nachkommenschaft des neuen Volkes Gottes
wird nicht - wie im alten Israel - eine Nachkommenschaft dem Fleische nach sein;
sie wird die Grenzen der natürlichen Volkszugehörigkeit sprengen und sich allen
Völkern öffnen.
= 4 Aber die Nachkommenschaft des neuen Volkes Gottes wird nicht
- wie im alten Israel - eine Nachkommenschaft dem Fleische nach sein; sie wird
die Grenzen der natürlichen Volkszugehörigkeit sprengen und sich allen Völkern
öffnen.Die zwölf Apostel »repräsentieren dieses neue endzeitliche Gottesvolk.
Und sie versinnbilden es nicht bloß durch ihre Zwölfzahl, sie sind es auch,
insofern sie seine ersten Glieder sind. Ihre Auswahl erfolgt demnach nicht bloß
im Hinblick auf ihre spätere Aussendung als Glaubensboten, sie ist auch und ist
vor allem der erste Schritt zur Kirchengründung.«5 Lukas
unterstreicht die Bedeutung des Augenblicks, indem er - Markus ergänzend -
schreibt, der Herr habe die ganze Nacht davor im Gebet verharrt.6 Das
wundert uns nicht - aber diesmal können wir uns in sein Gebet gleichsam
hineinversetzen. Er wird sich w= 5 Lukas unterstreicht die Bedeutung des
Augenblicks, indem er - Markus ergänzend - schreibt, der Herr habe die ganze
Nacht davor im Gebet verharrt.6 Das wundert uns nicht - aber diesmal können wir
uns in sein Gebet gleichsam hineinversetzen. Er wird sich ohl mit dem Vater über
das, was am nächsten Morgen geschehen soll, beraten, die Zwölf namentlich mit
ihm durchgesprochen haben - auch, welch geheimnisvolles Geschehen, den Verräter.
Der Herr rief also
die zu sich, die
er erwählt hatte. Nicht weil sie weiser, klüger, gebildeter
gewesen wären als andere. Berufung ist weder Anerkennung für persönliche Vorzüge
noch Lohn für erbrachte Leistungen - sie ist immer Geschenk. Der heilige Paulus
verdeutlicht dies, wenn er schreibt:
mit einem heiligen Ruf hat er uns
gerufen, nicht aufgrund unserer Werke, sondern aus eigenem Entschluß und aus
Gnade, die uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt wurde7.
Durch
Jesus Christus berufen:
Die Auserwählung der Zwölf steht am Anfang der Reihe von Nachfolgern im
Apostelamt, durch welche die Bischöfe unserer Zeit mit Christus verbunden sind.
Er rief die zu sich, die er erwählt
hatte. Unsere Betrachtung über die Auserwählung der Apostel soll
zum betenden Nachdenken über unsere eigene Berufung werden. Es stimmt, daß die
Stelle des heutigen Evangeliums sich auf die Einsetzung des Amtes und somit auf
den besonderen Status der Zwölf bezieht; dennoch ist jede Berufung zur Nachfolge
eine Auserwählung, »ein von Ewigkeit her zugedachtes und erteiltes Geschenk
Gottes an den Menschen. Gott will für diesen konkreten Menschen einen bestimmten
Weg des Warum und Wozu seines Lebens im Geflecht der geschichtlichen Ereignisse
und Erfahrungen, die im Licht der Gnade gerade als Zeichen erkannt werden.«8
Warum wurden gerade jene Zwölf und
nicht andere auserwählt? Wir wissen es nicht. Drängender aber ist eine andere
Frage: Warum gerade
ich? Lebt es sich ohne
»Gebote und Verbote« nicht freier, entspannter, sorgloser? Vielleicht, wenn es
nicht Gott wäre, der sie uns einzig und allein zu unserem Heile - gegeben hat.
Wer sie einmal akzeptiert hat, gerade der lebt freier, entspannter, glücklicher.
= nicht freier, entspannter,
sorgloser? Vielleicht, wenn es nicht Gott wäre, der sie uns - einzig und allein
zu unserem Heile - gegeben hat. Wer sie einmal akzeptiert hat, gerade der lebt
freier, entspannter, glücklicher.Gott ruft immer wieder Menschen in seinen
Dienst, deren persönliche Qualitäten in keinem Verhältnis zu dem stehen, was sie
mit seiner Hilfe dann tun sollen. Vielleicht haben wir es selbst irgendwann
einmal auch so empfunden. Wir entdecken den Ruf - und vor diesem Hintergrund
türmen sich unsere eigenen Sünden, Schwächen und Armseligkeiten bedrückend auf.
Dies darf uns weder wundern noch entmutigen. Es stimmt, daß der mit der Berufung
erhaltene Auftrag unsere Fähigkeiten übersteigt - aber vergessen wir nicht, daß
Gott den Berufenen auch die nötige Kraft zur Nachfolge gibt. »Wenn es auch eine
Gnade ist, ihm anzugehören, so ist es doch eine Gnade, die er niemandem versagt,
der bereit ist, sie anzunehmen.«9
Die Gnade der Berufung begann mit der
Taufe in uns zu wirken. »Gleich wie auch immer die persönliche Geschichte eines
Menschen verläuft oder verlaufen sein mag, Berufung und Antwort ereignen sich
sakramental in der Taufe. Von da ab wurzeln sie als reale Wirklichkeit im Herzen
des Menschen und entfalten sich in den verschiedensten Umständen des Lebens. Der
Ruf Gottes kann an den Menschen in einem Augenblick verbunden mit erlebbaren
Ereignissen ergehen und den Menschen in einer räumlich und zeitlich begrenzten
Situation zur Entscheidung auffordern; oder er kann sich allmählich im
schlichten Reifen des Lebens und unter ganz gewöhnlichen Vorkommnissen hörbar
machen. Gottes Wort kann wie der Sturm daherbrausen oder im leichten Säuseln des
Windes raunen.«10
Jene Zwölf waren schon einige Zeit bei Jesus, als er sie berief.
An jenem Tag begann für sie ein neues Leben in der Nähe des Herrn. Auch wenn sie
nicht wußten, wie es weitergehen würde, eins wußten sie: sie wollten ihm treu
bleiben und dennoch - welch unergründliches Geheimnis -, einer von ihnen wurde
untreu.
Bleibt in mir, dann bleibe ich in
euch11,
war die Aufforderung des Herrn beim Letzten Abendmahl. Damit gibt der Herr eine
Art Definition der Heiligkeit: In ihm bleiben, Umgang mit ihm in den Sakramenten
und im Gebet pflegen und so fähig werden, als seine Gesandten Zeugnis von ihm zu
geben.
Paulus nennt die ersten Christen
die berufenen
Heiligen12.
Er konkretisiert mit diesen Worten die Lehre, daß »alle Christgläubigen
jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur
vollkommenen Liebe berufen sind. Durch diese Heiligkeit wird auch in der
irdischen Gesellschaft eine menschlichere Weise zu leben gefördert.«13
Die Entdeckung der eigenen Berufung zur Heiligkeit ist die entscheidende
Einsicht im Leben eines Menschen. Wenn es trotzdem Christen gibt, die
oberflächlich und ziellos leben, dann weil ihnen das Bewußtsein der Berufung
fehlt.
Das, was mit der Taufe begann, erhält
nach und nach faßbare Gestalt: als konkrete Lebenssituation, durch den Beruf,
die Freunde, durch Neigungen und Fähigkeiten. Der beglückenden Entdeckung am
Anfang folgt die Zeit bewußter Treue, wohlwissend, daß Gott immer alle Gnade
schenkt, um beharrlich zu bleiben. Das heißt auch Kampf gegen die Versuchung,
das einmal gegebene Ja zurückzunehmen, für die Ermüdung im asketischen Kampf,
Ausbleiben von »Erfolgen« oder laues Beten der Grund sein können. Aber es wächst
auch die innere Klarheit und mit ihr ein stetiger Dank, wenn wir uns nicht
entmutigen lassen und die Treue Tag für Tag verwirklichen.
Sich heiligen... Gott nimmt uns so, wie wir sind, er nimmt
unsere Erbärmlichkeiten an, er vergibt uns unsere Sünden, er schenkt uns immer
wieder seine Gnade. Aber er will keine bequeme Kompromisse, halbherzige
Zugeständnisse oder taktische Überlegungen, sondern das ernsthafte Bemühen, ihn
zu lieben. Ein konsequent christliches Leben erfordert den Heroismus der
Tugenden und bewährt sich besonders in den Umständen, in denen ein frivoler
Lebensstil vom christlichen Ideal abweicht.
festhalten, was wir erreicht haben14,
erneuern und bejahen wir es immer wieder, besonders dann, wenn der Weg mühsam
wird. Dann gilt es, den asketischen Kampf gezielter zu führen, indem man etwa
die Gewissenserforschung in bestimmten Punkten konkretisiert. So wächst die
Liebe auch inmitten scheinbarer Dürre. Der heilige Paulus ermuntert uns, den
asketischen Kampf um das Heiligwerden immer freudig und von Hoffnung getragen zu
führen, wie in einem sportlichen Wettbewerb:
Ich vergesse, was hinter mir liegt,
und strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt. Das Ziel vor Augen jage ich
nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung, die Gott uns in Christus Jesus
schenkt.15
Aber sicher vergaß der Apostel nicht alles, was
hinter ihm lag. Er
vergaß jenes überwältigende Erlebnis auf dem Weg nach Damaskus nicht, als er
erfuhr, daß Christus lebte und ihn rief.
Mk
3,13-19. -
2 Johannes Paul II.,
Ansprache 22.6.1988. -
3 ebd. -
4
M.-J. Lagrange,
Das Evangelium von Jesus Christus,
Heidelberg 1949, S.152. -
5
Regensburger Neues Testament, Bd.2, Regensburg 1958, S.76. -
6
vgl.
Lk 6,12. -
7
2 Tim
1,9. -
8 P. Rodriguez,
Die
Welt als sittliche Aufgabe, in:
Die Person im Anspruch sittlicher
Normen, St. Augustin 1981, S.94. -
9 Franz von Sales,
Über
die Gottesliebe, 3,4. -
10 P. Rodriguez,
a.a.O., S.95. -
11
Joh
15,4. -
12
Röm
1,7. -
13 II. Vat. Konz.,
Konst.
Lumen gentium, 40. -
14
Phil
3,16. -
15
Phil
3,13-14.