JAHRESKREIS
26. SONNTAG (LESEJAHR C)
21
NOT UND
ÜBERFLUSS
Der
reiche Mann und der arme Lazarus.
Freigebigkeit und Loslösung vom Materiellen.
Solidarität mit den Bedürftigen.
I. Durch
göttliche Berufung wurde der Prophet Amos - ein Viehzüchter und
Maulbeerfeigenpflanzer,
wie er sich nennt - Mitte des 8. Jahrhunderts v.Chr. ins Nordreich Israel
gesandt. Dort prangert er die unwürdigen Zustände an:
Das Fest
der Faulenzer ist nun vorbei,
hören wir in der ersten Lesung dieses Sonntags.
Seine Anklage richtet sich gegen die Regierenden, die das Wohl des Landes
vergessen haben, und die Begüterten, die, von der Not des Volkes ungerührt, ihre
Feste feiern:
Ihr liegt
auf Betten aus Elfenbein und faulenzt auf euren Polstern. Zum Essen holt ihr
euch Lämmer aus der Herde und Mastkälber aus dem Stall (...) ihr salbt euch mit
dem feinsten Öl und sorgt euch nicht über den Untergang Josefs
über den Untergang des Volkes. Amos prophezeit die Verbannung - ein Schicksal,
das sich etwa vierzig Jahre später erfüllen wird.
Als
neutestamentliche Entsprechung zu dieser Situation hören wir im Evangelium die
Geschichte vom reichen Mann und vom armen Lazarus:
Es war
einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag
für Tag herrlich und in Freuden lebte.
Vor seiner Tür liegt der Bettler Lazarus:
Er hätte
gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel.
Statt dessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.4
Der Herr
setzt nicht voraus, daß der reiche Mann seinen Besitz unrechtmäßig erworben
hätte. Nicht um irdische Güter an sich, auch nicht um die Art und Weise des
Erwerbs geht es hier, sondern um Menschen, um die harten Kontraste ihrer
Lebensweisen - hier Überfluß, dort extreme Bedürftigkeit -, um einen die
Menschenwürde bedrohenden Mangel, um den Umgang mit den Gütern dieser Welt. Der
Reiche sah sein ganzes Leben als ein einziges Festgelage: feinste Kleidung,
auserlesene Speisen ... Am Elend des Lazarus trifft ihn keine unmittelbare
Schuld; bestohlen hat er ihn nicht, ausgebeutet auch nicht; er hat nur keine
Notiz von ihm genommen. Er ist wie blind. Er lebt ausschließlich für sich, als
gäbe es den Nächsten und als gäbe es Gott nicht. Das ist seine Sünde. Er hat
vergessen, daß wir nicht die Herren, sondern die Verwalter der irdischen Güter
sind.
Der Keim
des Egoismus, den jeder in sich trägt, kann zu Genußsucht und Besitzgier
entarten. Dann wird man für die Würde der anderen Menschen blind, sie erscheinen
einem wertlos, und man behandelt sie wie seelenlose Sachen.
II. Das
Wie im Umgang mit den irdischen Gütern, die Gott in unsere Hände gelegt hat, ist
für die verantwortliche, menschenwürdige Gestaltung unseres irdischen Lebens
entscheidend. Aber vor allem hängt davon die Vollendung in Gott, das ewige
Leben, ab. Geben
ist seliger als nehmen5,
heißt es in einem überlieferten Wort des Herrn: die Tugend der Freigebigkeit
gehört zu unserer Bewährung auf Erden. »Die menschliche Gemeinschaft auf Erden
setzt einen dauernden Austausch sowohl der weltlichen als auch der geistigen
Güter voraus. Der Bürger, und noch mehr der Christ, muß daher sein Herz für die
anderen offenhalten; wenn es sich um irdische Güter handelt, sagt man: er muß
freigebig sein. Die Freigebigkeit ist die Tugend, die sich insofern um die
Belange des anderen kümmert, als sie nicht bloß das Gut des Nächsten achtet (was
reine Gerechtigkeit wäre), sondern ihm auch vom eigenen Gut mitteilt.«6 Der
Freigebige sieht in den anderen seine Mitmenschen und, wenn er Christ ist,
Kinder Gottes, die ihn brauchen. Großherzigkeit macht uns liebenswerter auf
Erden und öffnet uns den Himmel. Es ist nicht so schwer, einen Lazarus in
unserer Nähe zu finden.
Aber
Besitzgier ist kein isoliertes Übel. In der zweiten Lesung dieses Sonntags
ermahnt der Apostel Paulus seinen Schüler Timotheus mit den Worten:
Die
Wurzel aller Übel ist die Habsucht. Nicht wenige, die ihr verfielen, sind vom
Glauben abgeirrt und haben sich viele Qualen bereitet.
Der Apostel zeigt seinem Schüler die Alternative:
Du aber, ein Mann Gottes, strebe unermüdlich nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit,
Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut. Kämpfe den guten Kampf des
Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist ...
Als
Christen sind wir Sauerteig Gottes in der Welt. In einer Stellungnahme der
deutschen Bischöfe heißt es: »Wir alle haben die Möglichkeit und die Pflicht,
unsere Gesellschaft zu verbessern, indem wir sie immer menschenwürdiger
gestalten. Eine Ordnung wie die unsere ist immer wieder neuen Gefahren
ausgesetzt. Das erfordert unser aller Einsatz. (...) Die Verzweiflung,
Verwirrung und Not vieler Mitmenschen rufen nach Barmherzigkeit, Verständnis und
selbstloser Hilfe. Nicht die ängstliche Sorge um den eigenen Vorteil, sondern
die im Vertrauen auf Gott gegründete Entschlossenheit ist das Gebot der
Stunde.«8
Dem
hemmungslosen Streben nach Besitz, das viele beherrscht, setzt der Christ eine
richtig verstandene Loslösung vom Materiellen entgegen. Dazu gehört ein würdiger
Lebensstil, doch ohne Verschwendung, gehört unterscheiden zu können zwischen
standesgemäßem und luxuriösem Aufwand, Überflüssiges zu vermeiden, Kauflaunen zu
beherrschen, die tätige Solidarität mit den Bedürftigen zu praktizieren.
Johannes Paul II. ermahnt uns: »Wir dürfen nicht untätig dastehen und unseren
eigenen Reichtum und unsere Freiheit genießen, wenn irgendwo der Lazarus des 20.
Jahrhunderts vor unserer Tür steht. Im Licht dieses Gleichnisses Christi
bedeuten Reichtum und Freiheit besondere Verantwortung.«9
III.
»Gottes Gerechtigkeit und Friede wollen Frucht tragen in menschlichen Werken der
Gerechtigkeit und des Friedens, und das in allen Bereichen des heutigen Lebens.
Wenn wir Christen Jesus Christus zum Mittelpunkt unseres Fühlens und Denkens
machen, wenden wir uns nicht ab von den Menschen und ihren Bedürfnissen. Im
Gegenteil, wir werden hineingeholt in die Bewegung des Sohnes, der zu uns
gekommen und einer von uns geworden ist; in die Bewegung des Heiligen Geistes,
der die Armen aufsucht.«10 Die Sicht Christi, das Herz Christi sollen uns
prägen, nicht die flache Sicht vieler Menschen: Gleicht euch nicht dieser
Welt an11, schrieb der Apostel Paulus an die Christen in Rom.
Wir
Christen dürfen uns nicht von der Woge einer materialistischen Gesinnung
mitreißen lassen, die stumpf macht für die ewigen Güter. Ebensowenig dürfen wir
einer Lebenseinstellung folgen, die ein Tun nur nach seiner Rentabilität bemißt.
»Die Christen müssen Vorläufer sein, wenn es gilt, Überzeugungen zu wecken und
Lebensformen einzuführen, die entschieden mit einer aufreibenden und freudlosen
Konsumhektik brechen.«12 Wir wissen, daß nur die Kirche - im Licht der
göttlichen Offenbarung - uns den Vollsinn des Menschseins zeigen kann. »= 12 Wir
wissen, daá nur die Kirche - im Licht der g”ttlichen Offenbarung - uns den
Vollsinn des Menschseins zeigen kann. Um den Menschen, den wahren, unverkürzten
Menschen zu erkennen, muß man Gott erkennen«, sagte Paul VI.13. Johannes Paul
II. kommentiert diese Worte: »Die theologische Dimension erweist sich sowohl für
die Interpretation wie für die Lösung der heutigen Probleme des menschlichen
Zusammenlebens als unabdingbar. Das gilt, um es in aller Deutlichkeit zu sagen,
sowohl gegenüber der >atheistischen< Lösung, die den Menschen seiner
fundamentalen Bausteine, nämlich des Geistlichen, beraubt, als auch gegenüber
den permissiven und konsumistischen Lösungen, die es unter verschiedenen
Vorwänden darauf abgesehen haben, ihn von seiner Unabhängigkeit von jedem Gesetz
und von Gott zu überzeugen, indem sie ihn in einen für ihn selbst und die
anderen schädlichen Egoismus einsperren.«14
Kommen
wir auf das Gleichnis zurück: »Der Reiche wurde verdammt, weil er den anderen
mißachtete. Weil er es verabsäumte, von Lazarus Notiz zu nehmen, dem Mann, der
vor seiner Tür saß und gerne gegessen hätte, was vom Tisch des Reichen
herunterfiel.«15
Unsere
Solidarität mit den Bedürftigen erfordert zuerst das Gespür für die Loslösung
vom eigenen Besitz. Man könnte es auch die »gute« Armut nennen, die Armut nach
innen. Prägen Loslösung und Freigebigkeit wirklich unseren Umgang mit den
irdischen Gütern? Dann haben wir auch Augen und Hände für jene, die in der
»schlechten« Armut leben müssen, in Lebensverhältnissen, die gleichzeitig mit
dem fehlenden Existenzminimum ihre Menschenwürde bedrohen.
vgl.
Am
1,1;7,14. -
6,7. -
6,4-7. -
16,19-31. -
20,35. -
Die
katholische Glaubenswelt - Wegweisung und Lehre,
Bd.II, Freiburg 1960, S.815. -
6,10-16. -
Die deutschen Bischöfe,
Gesellschaftliche Grundwerte und menschliches Glück,
7.5.1976. -
Johannes Paul II.,
Predigt
im New Yorker Yankee-Stadion,
2.10.79, 6. -
ebd. 2. -
12,2. -
Johannes Paul II.,
Ansprache
an die Vollversammlung der Päpstlichen Kommission
Justitia
et Pax
11.11.1978. - 13 Paul VI., Predigt bei der Schlußsitzung des II. Vatikanischen
Konzils, 7.12.1965. - 14 Johannes Paul II., Enz. Centesimus annus, 55. - 15
Johannes Paul II., Predigt im New Yorker Yankee-Stadion, 2.10.79, 6.