JAHRESKREIS
18. WOCHE - SAMSTAG
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WAS
GLAUBEN VERMAG
Die Not
eines ungefestigten Glaubens.
Eine große Lektion.
Ausdauerndes Beten und Opfern.
I. Das
Vorspiel findet im Gewühl eines Marktplatzes statt, das Nachspiel in der
Geborgenheit des Zuhause. Am Anfang bedrängt die Menschenmenge die hilflosen
Jünger, am Ende sprechen sich die Jünger beim Herrn aus. Und die Mitte des
Geschehens ist Jesus selbst: klagend, heilend, lehrend. Um das Ganze zu
erfassen, müssen wir die knappen sieben Verse, die der Bericht des heutigen
Evangeliums nach Matthäus umfaßt1, mit den Details ergänzen, die Markus - wie so
oft - farbiger und ausführlicher erzählt2. Beide Evangelisten haben vorher die
Verklärung berichtet. Matthäus erzählt: Als sie - nämlich Jesus und die drei
Jünger, die Zeugen seiner Verklärung gewesen waren - zurückkamen, begegneten sie
einer großen Zahl von Menschen. Aus dem Kreis dieser Menschen trat ein Mann auf
ihn zu... Bei Markus ist die Lage spannender; denn Jesus und die Drei fanden
nicht nur eine große Menschenmenge um sie - die Jünger - versammelt, sondern
auch Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten. Und - wiederum ein Detail von
Markus - sobald die Leute Jesus sahen, liefen sie in großer Erregung auf ihn zu
und begrüßten ihn. Was war geschehen? Da war ein Mann, den es drängte, seinen
Sohn aus einem elenden Zustand befreit zu sehen. Da der Herr abwesend war, hatte
er sich an dessen Vertraute gewandt - aber erfolglos. Man kann es sich gut
vorstellen: eine Menge, die neugierig auf ein Spektakel hofft und dann
enttäuscht ist, und die Schadenfreude der Gesetzeslehrer.
Jetzt ist
der Herr da. Matthäus berichtet: der Vater fiel vor ihm auf die Knie und sagte:
Herr, hab Erbarmen mit meinem Sohn! Markus holt auch hier weiter aus und
berichtet vom Dialog zwischen Jesus und dem Bittsteller: Wenn du kannst, hilf
uns; hab Mitleid mit uns! Und Jesus: Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt.
Darauf der Vater des Jungen: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!
Lassen
wir diesen Ruf auf uns wirken: Worte der Not und Ratlosigkeit, der
Hilfsbedürftigkeit, aber auch eines beginnenden Vertrauens. Wer kennt solche
Situationen nicht, wenn Not die Routine des Alltags aufbricht? Je schwerer die
Last, um so bedrückender die Ohnmacht, je tiefer die Liebe, um so tragischer die
Hilflosigkeit. Der Glaube kann dies meistern. Kann Jesus, was die Jünger nicht
vermochten? Der Vater des Jungen überlegt nicht lange; er setzt auf Jesu
Erbarmen.
In der
Not dieses Menschen spiegelt sich die Lage vieler Menschen heutzutage wider. Ihr
Glaube ist unsicher, ihr Gottesbild eher abstrakt und ohne Raum für Zuwendung:
»Die Mentalität von heute scheint sich vielleicht mehr als die der Vergangenheit
gegen einen Gott des Erbarmens zu sträuben und neigt dazu, schon die Idee des
Erbarmens aus dem Leben und aus den Herzen zu verdrängen. Das Wort und der
Begriff >Erbarmen< scheinen den Menschen zu befremden, der dank eines in der
Geschichte vorher nie gekannten wissenschaftlichen und technologischen
Fortschritts Herrscher geworden ist und sich die Erde untertan gemacht und
unterjocht hat (vgl. Gen 1,28). Dieses Herrschen über die Erde, das zuweilen
einseitig und oberflächlich verstanden wird, scheint für das Erbarmen keinen
Raum zu lassen.«3 Wir kennen Gott als die Quelle des Erbarmens; schließen wir
heute in unser Gebet auch jene ein, die in seelischer Not sind und die
Reichtümer des Herzens Jesu nicht kennen.
II. Der
schmerzliche Ausruf des Herrn, bevor er sich der Not des Vaters zuwendet, kommt
unerwartet: Wie lange muß ich noch bei euch sein? Wie lange muß ich euch noch
ertragen? »Der Ausruf ist ein erschütternder Einblick in sein Herz, das in echt
menschlicher Weise seinem Schmerz Luft macht. Die Verständnislosigkeit und der
ständig so schwache Glaube der Menge und auch der Jünger läßt ihn den Aufenthalt
unter den Menschen fast unerträglich schwer empfinden. Was wissen wir über den
ungeheuren Unterschied zwischen dem Seelenleben des Gottmenschen und dem der
anderen Menschen! Von welchen Höhen galt es immer herabzusteigen, welche weiten
Räume waren zu durchmessen - menschlich gesprochen, war es eine ungeheure
Anstrengung, eine ständig schmerzende Seelenspannung, diese kleinliche,
erbärmliche Art der Menschen zu ertragen und sich ihnen anzupassen.«4 Und doch
gehörte auch dies zum Heilsplan der Menschwerdung. Jesu ganzes Leben »war ein
beständiges Lehren. Die Momente des Schweigens, seine Wunder, seine Taten, sein
Beten, seine Menschenliebe, seine Vorliebe für die Kleinen und Armen, die
Annahme des letzten Opfers für die Erlösung der Welt am Kreuz und seine
Auferstehung - dies alles macht sein Wort wirklich und wahr und vollendet seine
Offenbarung.«5 Heute sehen wir den Herrn die künftigen Verkünder seiner
Barmherzigkeit formen. Denn als diejünger mit Jesus allein waren, wandten sie
sich an ihn und fragten: Warum konnten denn wir den Dämon nicht austreiben?
Warum haben wir versagt? Die Antwort ist knapp: Weil euer Glaube so klein ist.
Aber der Herr will nicht, daß die Begebenheit als die Stunde des Versagens in
die persönliche Geschichte der Seinen eingeht, sondern als die Stunde einer
großen Einsicht: Amen, das sage ich euch: Wenn euer Glaube auch nur so groß ist
wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach
dort!, und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein.
Berge
versetzen... Der Herr verwendet hier wohl eine sprichwörtliche Wendung. Einige
Kirchenväter erläutern, das Wort erfülle sich jedesmal, wenn sich jemand mit
Hilfe der Gnade zu Höhen emporschwinge, die er - auf sich allein gestellt -
niemals erreichen würde. Das Werk der Heiligung, das der Heilige Geist in der
Seele wirkt, ist ein solcher Aufstieg. Die Gnade wirkt Wunder im Herzen des
Menschen, der - von der Sünde erdrückt - sich aus der spirituellen Elendigkeit
erhebt.
»>Si
habueritis fidem sicut granum sinapis<. Hättet ihr einen Glauben so groß wie ein
Senfkörnlein!... Welches Versprechen schließt dieser Ausruf des Meisters ein!«6
Der normale Weg der göttlichen Vorsehung ist nicht der aufsehenerregender
sichtbarer Wunder, auch wenn die Geschichte des Glaubens bezeugt, daß Gott
manchmal Außergewöhnliches auf der Ebene des sinnlich Wahrnehmbaren wirkt, um
das Zeugnis heiligmäßiger Menschen zu bekräftigen.
Ein
tiefer Glaube läßt uns in einem gewissen Sinne an der Allmacht Gottes teilhaben:
Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er
wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater. Eine neue Dimension des
Betens tut sich auf: Alles, um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun,
damit der Vater im Sohn verherrlicht wird. Wenn ihr mich um etwas in meinem
Namen bittet, werde ich es tun.7 Immer ist der Glaube fruchtbar, wenn er in der
Liebe seine Form findet: »Wir halten uns an das Wort und die Gebote Jesu; wir
bleiben im Vater, der uns in Christus so sehr liebt, daß er in uns bleibt. In
diesem neuen Bund gründet die Gewißheit, daß unsere Bitten erhöht werden, auf
dem Gebet Jesu.«8
III.
Jemand hat die Seelen mit den Metallen verglichen, deren Schmelztemperatur
unterschiedlich ist. Hier bedarf es des beharrlichen Betens und Opferns, bis
einer sich Gott öffnet, dort genügt ein einziges Wort. Der Evangelist Johannes
erzählt, wie die Samariterin augenblicks zur Vermittlerin wird.9 Sie hatte über
das, was ihr mit Jesus widerfahren war, berichtet, ihre Mitbürger horchten auf,
gingen dann zu Jesus wegen der Rede der Frau und luden ihn ein, bei ihnen zu
bleiben.
Manchmal
müssen wir für einen Angehörigen, für einen Freund oder eine Freundin jahrelang
beten und Opfer bringen, um ihn auf Christus hin zu orientieren. »Im Neuen
Testament war das Wort >Heilige< eine Bezeichnung für die Christen insgesamt,
die gewiß auch damals nicht alle die Qualitäten hatten, die man von einem
kanonisierten Heiligen verlangt. Aber in solcher Benennnung kam zum Ausdruck,
daß sie alle berufen waren, mit ihrer Erfahrung des auferstandenen Herrn zu
einem Bezugspunkt für die anderen zu werden, der sie mit Jesu Schau des
lebendigen Gottes in Berührung bringen konnte. Das gilt auch heute: Ein
Gläubiger, der sich vom Glauben der Kirche formen und führen läßt, sollte in all
seinen Schwächen und Schwierigkeiten ein Fenster sein für das Licht des
lebendigen Gottes, und wenn er wahrhaft glaubt, ist er es auch. Gegen die
Kräfte, die die Wahrheit niederhalten, gegen diese Mauer aus Vorurteilen, die
uns den Ausblick auf Gott versperrt, sollte der Gläubige eine Gegenkraft sein.
Ein beginnender Glaube sollte sich an ihn sozusagen anlehnen können.«10
Diese Art
kann nur durch Gebet ausgetrieben werden. Bei einigen Textzeugen findet sich die
erweiterte Fassung: durch Gebet und Fasten. Der Herr lehrt, daß ein Glaube wie
ein Senfkorn Berge verrücken kann. Aber er verweist auf das Fundament dieses
Glaubens: Gebet und Opfer. Wir kennen die Pläne Gottes mit einem Menschen nicht;
wir wissen nur, daß er das Heil aller will. Vielleicht mangelt es uns an
Beharrlichkeit. Wir dürfen niemanden für einen hoffnungslosen Fall in unserem
Apostolat halten. »Gott ist immer derselbe. - Was nottut, sind glaubende
Menschen: dann werden sich diese Wunder wieder ereignen, von denen wir in der
Heiligen Schrift lesen.
>Ecce non
est abbreviata manus Domini<.
Der Arm
Gottes, seine Macht, ist nicht kleiner geworden.«11
Jesus
stellt jedoch die Bedingung, daß wir wirklich aus dem Glauben leben, um Berge zu
versetzen: »Und es gibt so viel zu versetzen... in der ganzen Welt, aber zuerst
in unserem eigenen Herzen. Wieviele Hindernisse für die Gnade Gottes! Glaube
also: Glaube mit Werken, Glaube mit Opfern, Glaube mit Demut. Denn der Glaube
verwandelt uns in allmächtige Geschöpfe: Alles, was ihr im Gebet gläubig
erbittet, werdet ihr erhalten (Mt 21,22).«12
Der
Glaube soll im Alltag Gestalt bekommen: Hört das Wort nicht nur an, sondern
handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst. Hindernisse, die sich dem Bemühen
um Heiligkeit und dem Apostolat entgegenstellen, sind nichts weiter als
vorübergehende Schwierigkeiten, die uns beharrlicher im Beten und Opfern machen.
Unsere
Liebe Frau lehrt uns Glaube, Liebe und betende Beharrlichkeit. Sie ist das
vollkommene Werkzeug Gottes, das sich ganz mit der empfangenen Aufgabe
identifiziert. Sie macht sich die Pläne Gottes zu eigen und setzt alles -
Verstand, Wille, Gefühl - ein. Ihr fiat gilt: von Nazaret bis zum Kreuz - und
bis Pfingsten.
1 Mt
17,14-20. - 2 vgl. Mk 9,14-29. - 3 Johannes Paul II., Enz. Dives in
misericordia, 2. - 4 J. Dillersberger, Markus, Salzburg 1937, S. 71. - 5
Johannes Paul II., Apost. Schreiben Catechesi tradendae, 16.10.1979, 9. - 6 J.
Escrivá, Der Weg, Nr. 585. - 7 Joh 14,12-14. - 8 Katechismus der Katholischen
Kirche, 2614. - 9 vgl. Joh 4,1-26. - 10 J. Kard. Ratzinger, Auf Christus
schauen, Freiburg 1989, S. 37. - 11 J. Escrivá, Der Weg, Nr.586. - 12 J.
Escrivá, Freunde Gottes, 203.